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Vom Sehen und Gesehenwerden

von

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Yakusoku- Verabredung

Aoi:

 

„Ich geh noch schnell eine rauchen“, sagt Reita neben mir und bevor ich ihm nur halb bei der Sache antworten kann, spüre ich eine Berührung an meinem Oberarm.

„Begleitest du mich?“

Ich nicke und sträube mich nicht, als er mich an den Gruppen von Vergnügungssuchenden vorbei aus dem Foyer des Kinos hinaus in die Kälte der Nacht dirigiert. Eigentlich wäre ich lieber bei Tora, Uruha und dessen amüsanten Freunden geblieben, die uns die Wartezeit mit Anekdoten aus dem Leben als Buchverkäufer verkürzt haben, aber mir ist dieser gewisse Unterton in Reitas Stimme aufgefallen. Ich ahne, was ihm missfällt, will es aber aus seinem Mund hören.

 

„Was liegt dir quer im Magen?“, frage ich und drehe mich etwas seitlich zu ihm, um den Rauch seiner Zigarette nicht abzubekommen, als wir vor dem Kino angekommen sind. Die kühle Nachtluft lässt mich frösteln und ich schließe meine Winterjacke, um mich tiefer in den wärmenden Stoff kuscheln zu können.

 

„Warum hat Uruha seine beiden Arbeitskollegen mitgebracht?“

Dachte ich es mir doch. Ich hebe die Schultern in einer unwissenden Geste.

 

„Keine Ahnung, das hättest du ihn und nicht mich fragen müssen.“

 

„Du hast doch mit ihm telefoniert, bevor wir uns getroffen haben.“

 

„Ja.“

 

„Also?“

 

„Er hatte mich nur gefragt, ob er sie mitbringen könnte, und ich habe ja gesagt.“

 

„Oh Mann, Aoi.“ Ich kann sein Augenrollen förmlich sehen, auch wenn ihn das wenige Licht der Straßenbeleuchtung in für mich undurchdringliche Schatten hüllt.

 

„Was denn? Es war von vornherein geplant, dass Tora und du mitkommen, warum sollte ich also etwas dagegen haben, wenn Uruha auch jemanden mitbringen will?“

 

„Weil …“ Reita knurrt frustriert und ich vermute, dass er sich in einer eben solchen Geste durchs Haar fährt. Ich lächle. Manche Dinge ändern sich nie. Ich habe es schon immer verstanden, ihn aus der Fassung zu bringen.

 

„Uruha war nicht gerade Feuer und Flamme, als ich den Kinobesuch vorgeschlagen habe. Wenn er sich in Begleitung seiner Freunde wohler fühlt, ist das doch eine tolle Sache.“

Wieder muss ich daran denken, wie zwiegespalten Uruha auf mich gewirkt hat, als ich ihn vorgestern gefragt habe, ob er mitkommen will. Einerseits hatte ich den Eindruck, dass er gern Zeit mit mir verbringt, andererseits wirkte er beinahe ängstlich auf mich. Warum? Wovor fürchtet er sich?

 

„Ja, schon klar“, unterbricht Reita meinen Gedankengang. Ich meine ja nur, dass du so bei ihm nie weiterkommst.“

 

„Ehrlich, Rei, hätte ich geplant, dass das hier mehr als ein legerer Kinobesuch wird, hätte ich Tora und dich zu Hause gelassen. Ich wollte mal wieder raus, etwas erleben, und das ganz ohne Hintergedanken.“

 

„Du bist unverbesserlich.“

 

„Ich bin nur nicht so ungeduldig wie du.“ Mein Lächeln weitet sich zu einem Grinsen aus, als ich Reita schnauben höre.

„Erzählst du mir jetzt, was dich wirklich stört?“

 

„Seine Arbeitskollegen, Freunde, was auch immer sie sind, sind mir suspekt, vor allem dieser kleine Blonde.“

 

„Ruki?“ Ich lache. „Du erträgst es doch nur nicht, dass dir mal jemand Kontra bietet.“

 

„Jemand anderes als du, meinst du wohl.“

 

„Genau das.“ Ich lehne mich in seine Richtung, bis ich den Druck seiner Schulter an der meinen spüre. Augenblicklich löst sich ein Teil meiner Anspannung; Reita ist mein Anker im Meer der Dunkelheit, die mich umgibt.

 

„Er versucht, mich auszuhorchen.“

 

„Na, wenn dir das auffällt, scheint er seine Sache nicht sonderlich gut zu machen. Seien wir froh, dass du nicht auf den Mund gefallen bist, nicht wahr?“

 

„Ich wollte nur, dass du im Bilde bist.“

 

„Das bin ich, keine Sorge.“

 

„Du solltest mit Uruha reden, bevor es zu Missverständnissen kommt.“

 

„Und das werde ich … es hat sich nur noch nicht ergeben.“

 

„Warte nicht zu lange.“

Ich nicke und Reita seufzt. Es ist kein unzufriedener Laut, eher einer, der mir zeigt, wie gut und lange wir uns kennen. Er rückt näher, legt seinen Arm um mich.

„Bist du glücklich?“

 

„Jetzt gerade?“ Er brummt. „Ja, das bin ich.“

 

„Er tut dir gut.“

Seine Aussage zaubert ein Lächeln auf meine Lippen und wieder kann ich nur nicken. Die Gespräche der anderen Kinobesucher rauschen um uns herum, als stünden wir am Meer, Reita die Sonne, die mich wärmt.

 

„Ich denke, damit bin ich nicht allein, oder?“

Seine Brust bebt unter einem stummen Lachen, bevor er tief den Rauch seiner Zigarette einatmet und ihn zischend wieder entlässt. Ich weiß, dass ich keine verbale Antwort auf meine Frage erhalten werde, aber das ist okay.

 

„Hi ihr zwei, kommt ihr rein? Der Kinosaal ist gerade aufgemacht worden.“

Unwillkürlich breitet sich eine Gänsehaut auf meinem Körper aus, als Uruhas schöne Stimme das Rauschen der fremden Unterhaltungen durchschneidet. Nur warum klingt sie so zaghaft? Verunsichern ihn die vielen Menschen um uns herum oder liegt es an meiner Nähe zu Reita? Innerlich nicke ich mir zu. Mein Freund hat recht; es wird höchste Zeit, mit Uruha zu sprechen. Lächelnd löse ich mich, im Wissen, dass Reita mir diese Geste nicht übel nehmen wird. Langsam gehe ich in die Richtung, aus der Uruhas Stimme gekommen war, Reita und die Gewissheit in meinem Rücken, dass er für mich sieht und aufpasst, dass ich nicht gegen etwas oder jemanden stoße.

 

„Darf ich mich bei dir unterhaken?“, frage ich, als ich bei Uruha angekommen bin, und mein Herz macht einen kleinen Hüpfer, als er mir ohne Zögern seinen Arm anbietet.

Normalerweise fühle ich mich sicherer, meinen Blindenstock in der Hand zu haben, selbst wenn ich in Begleitung eines Sehenden unterwegs bin. Aber in Reitas Gegenwart und ganz offensichtlich nun auch in Uruhas gönne ich mir den Luxus, mich darauf zu verlassen, dass sie für mich sehen. In diesen Augenblicken kann ich im Meer der Anonymität untergehen, steche für einmal nicht aus der Masse hervor. Hier und jetzt bin ich nur Aoi, nicht der bedauernswerte Kerl, der immer schlechter sieht, nicht der Blinde.

 

„Wir haben ein Problem“, höre ich Kai sagen, als wir bei den anderen vor dem nun geöffneten Kinosaal ankommen.

 

„Ja?“, erkundige ich mich, „Sagt nicht, dass das Popcorn ausverkauft ist. Ich hab mich schon so darauf gefreut.“ Meine Sorge zieht allgemeine Erheiterung nach sich, was ich ehrlich gesagt nicht nachvollziehen kann. Wissen die eigentlich, wie lange ich kein echtes Kino-Popcorn mehr gegessen habe?

 

„Irgendwas ist mit der Reservierung schief gelaufen“, erklärt Tora. „Statt Karten für sechs Plätze nebeneinander haben wir nun welche für zwei in den vorderen Reihen und vier hinten. Ändern lässt sich da auch nichts mehr, weil der Film ausverkauft ist.“

 

„Oh, das ist schade.“ Reitas Stimme neben mir klingt so süßlich und übertrieben bedauernd, dass ich mein letztes Hemd darauf verwetten würde, dass er an diesem angeblichen Missverständnis schuld ist. Wie auch immer er das angestellt hat.

 

„Schade, aber nicht schlimm, oder Uruha?“ Ich drehe mich zu ihm und muss unwillkürlich schmunzeln. Hat er nicht damit gerechnet, dass ich ihn anspreche, oder warum sieht er mich an, als hätte er einen Geist gesehen?

 

„Ehm, wie meinst du das?“

 

„Wenn es dich nicht stört, könnten wir beide die vorderen Plätze nehmen. Ich erkenne zwar keine Details auf der Leinwand, aber je weiter vorn wir sitzen, desto mehr Bewegungen sehe ich. Ist interessanter für mich, wenn du verstehst.“

 

„Na klar.“ Er nickt heftig.

„Das können wir sehr gern so machen, mich stört das nicht.“ Er sieht zu den anderen auf.

„Oder wollt ihr beiden lieber vorne sitzen, Tora? Reita? Oder ihr?“ Alle Angesprochenen geben synchron verneinende Laute von sich, als hätten sie es einstudiert. Gerade so kann ich mir ein Kichern verkneifen. Kann es sein, dass nicht nur Reita es sich zur Mission gemacht hat, Uruha und mich zusammenzubringen? Diese Vorstellung ist nicht nur sehr interessant, sondern wärmt auch mein Herz. Ruki und Kai sind definitiv nicht nur Arbeitskollegen und ich bin froh, dass Uruha Freunde wie sie gefunden hat. Einem Impuls folgend drücke ich seinen Oberarm und lehne mich kurz gegen seine Schulter. Er verspannt sich nicht, wie ich es beinahe befürchtet habe, sondern spiegelt für einen Moment meine Geste. Innerlich seufze ich hingerissen auf, äußerlich sehe ich erfreut in die Runde.

 

„Dann ist das geklärt, würde ich sagen. Genießt den Film und tut nichts, was ich nicht auch tun würde.“

Reita schnaubt und mein Lächeln vertieft sich, bevor sich Uruha etwas zögerlich in Bewegung setzt und ich ihm folge.

„Hast du wirklich nichts dagegen, mit mir vorn zu sitzen? Schließlich hast du deine Freunde extra mitgebracht.“

 

„Mitgebracht würde ich das nicht nennen.“ Uruha spricht so leise, dass ich Probleme habe, ihn zu verstehen.

 

„Entschuldige, was meintest du?“

 

„Ach gar nichts. Es stört mich auf jeden Fall absolut nicht, nicht bei den anderen zu sitzen.“

 

„Okay.“ Ich rücke erneut etwas näher an ihn heran, als er mir die Treppen ansagt, die erst nach oben führen, um uns dann im Abstand von je zwei Stufen und vier Schritten geradeaus nach unten in die korrekte Reihe zu bringen.

„Du machst das wirklich großartig“, lobe ich, als ich sitze und auch der Rest meiner Anspannung von mir abfällt. Geschafft. Etwas Angst habe ich immer, zu stürzen oder mich anderweitig zu verletzen, besonders wenn Stufen mit im Spiel sind, aber wie ich schon sagte, Uruha hat seine Sache richtig gut gemacht.

 

„Danke“, murmelt er verlegen. Himmel, er ist so niedlich. „Du musst mir aber bitte sagen, wenn ich zu viel rede oder auch zu wenig. Ich will, dass du dich sicher fühlen kannst.“

 

„Das kann ich, dank dir.“ Ich traue es mich und greife nach seiner Hand. „Danke.“

 

„Nicht dafür.“

Ist es ein gutes Zeichen, dass er seine Hand nicht zurückzieht und stattdessen unsere Finger miteinander verschränkt? Ich will daran glauben.

„Willst du dein Popcorn haben?“

 

„Muss ich dich dafür loslassen?“

 

„Mmmh, ich glaube, das bekommen wir auch so hin.“

 

„Dann gerne.“



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Ryo-ki
2024-05-07T04:21:06+00:00 07.05.2024 06:21
Ui, ist Reita genervt. Schon fast noch mehr, zumindest erzeugt er das mit der ersten Frage bei mir. Danach mildert es sich dann im Verlauf ein bisschen ab.
Und ich verstehe ihn so, hinsichtlich Aoi, doch zugleich bringt Aoi das schlüssige Gegenargument. Mit welcher Begründung hätte er auf Uruhas Frage dafür nein sagen sollen?

Haha, Reita haut einen direkten Spruch nach dem anderen raus, stört sich aber bei Ruki daran? Naja, ja, subjektiv betrachtet, ergibt das viel Sinn, aber so halbwegs objektiv von außen ist es echt witzig. Von Kai habe ich dagegen bislang nur einen guten Eindruck, ist er denn wirklich auch so störend? Oder ist es dessen bloße Anwesenheit?

Aber ja, mit diesem einen Punkt hat Reita sehr recht (und das ergibt irgendwie einen wundervollen Stimmungsumschwung von jetzt auf gleich, ohne dabei wirklich heftig zu sein), Aoi sollte dringend mit Uruha reden (und vielleicht wird das alles zwischen ihnen voranbringen, du siehst, ich kann das nicht abwarten, aber ich habe auch meine Gründe dafür).

Ja, Aoi, warum klingt Uruhas Stimme wohl so zaghaft, wenn ihr so dasteht?

Ich mag die Gedanken darüber, wie Aoi einfach mal nur unauffällig sein kann, nicht zu unterscheiden von all den anderen Menschen, wo ihm das üblicherweise nicht möglich ist.

Wie hat Ruki denn - so rein theoretisch, denn es ist ja etwas schiefgelaufen ;) - die Karten sogar bei den Sitzen der Anderen bekommen? Ich meine, ich traue ihm das zu. Eigentlich kann er die Info ja nur von Uruha haben und bei diesem hätte ich eher gedacht, dass er nicht weiß, wo sie sitzen, weil es ihm eigentlich egal ist.

Armer Uruha, er muss da ganz schön viel emotionalen Rollercoaster mitmachen. Und zusätzlich scheint ihm das mit Kai und Ruki (ich vermute vor allem letzterem) auch noch ziemlich unangenehm zu sein. Schmunzeln muss ich trotzdem.

Gut erkannt, Aoi. Vielleicht kannst du das Reita vermitteln, damit dieser nicht mehr so negativ auf vor allem Ruki zu sprechen ist. Aber es ist so Uruha, sich da erstmal in den Hintergrund zu stellen.

Ja! Ja! Ja! Ja! Trau dich, Aoi. Trau dich immer wieder. Und ja, es ist ein gutes Zeichen. Nicht zurückziehen ist hinnehmen, aber Uruha zeigt damit eigenen Aktionismus.
Und dann die letzten Dialoge … <3

Und jetzt?
Von:  -Pharao-Atemu-
2024-05-06T10:13:11+00:00 06.05.2024 12:13
Aois letztes Hemd darf er sicherlich noch etwas behalten. Dennoch hat Reita recht. Aoi sollte schleunigst für Klarheit sorgen. Sonst könnte das gerade bei einer unsicheren Seele wie Uruhas zu Problemen führen.
Ich freu mich sehr dass es neue Kapitel gibt ♥
Antwort von:  yamimaru
06.05.2024 13:40
Vielen lieben Dank für deinen Kommentar, freut mich riesig, dass du dich über die neuen Kapitel freuen konntest. ^^
Ein Gespräch zwischen den beiden kommt, aber ein bisschen dauert es noch. ^^
LG
Yami
Von:  Gedankenchaotin
2024-05-06T06:17:17+00:00 06.05.2024 08:17
Auch wenn ich Rei's Sorge verstehen kann .. lass Aoi einfach machen, Rei. Er weiß schon was er tut.
Aber wenigstens in der Hinsicht, dass Aoi und Uru zusammen gehören, sind sich Reita und Ru einig, das ist schon mal gut. +Kicher+.
Antwort von:  yamimaru
06.05.2024 13:45
Ich denke auch, dass Aoi das schon macht. ^^ Der gute Reita will halt nur immer das Beste für ihn und vielleicht macht er sich ja nicht nur um Aoi Sorgen. :D
Ich behaupte mal, alle sind sich einig, dass die beiden zusammengehören, auch die Leiseren der Gruppe. *lacht*
Danke dir für deinen Kommentar, hat mich wieder sehr gefreut. ^^


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